Sonntag, 21. Oktober 2007

Der Vertrag von Lissabon

Endlich! Nach jahrelangem Hin- und Her wurde am Donnerstag überraschend schnell eine Einigung über letzte Details erzielt und ein Kompromiss für die überfälligen institutionellen Reformen der Europäischen Reformen gefunden. Anstatt wie ursprünglich geplant einen Verfassungsvertrag (eine Verfassung war niemals geplant!) erhält die Europäische Union einen neuen Änderungsvertrag. Nach den Römischen Verträgen, der Einheitlichen Europäischen Akte sowie den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza wird, wenn nichts mehr dazwischen kommt, im Dezember der Vertrag von Lissabon unterschrieben.

Was ist nun davon zu halten? Als Anhänger des Verfassungsvertrags habe ich in der letzten Zeit versucht zu verfolgen, was schlussendlich aus seinen zentralen institutionellen Elementen wird. Zur Erinnerung: Das, was gerne Europäische Verfassung genannt wurde, bestand aus drei Teilen. Der erste Teil sollte die institutionelle Architektur der Union festlegen, der zweite enthielt die Europäische Grundrechtecharta, in Teil drei wurden im wesentlichen die bestehenden Verträge integriert. Kritiker der Globalisierung und des Wirtschaftsliberalismus nahmen mobilisierten hauptsächlich gegen diesen dritten Teil, obwohl dieser eigentlich keine Neuerungen enthielt. Dennoch spielte dies, neben innenpolitischen Motiven, eine entscheidende Rolle für die Ablehnung des Reformvertrags in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden. Das Vereinigte Königreich war dagegen vor allem gegen die Grundrechtecharta. Außer Polen, das im Vertrag von Nizza einen Übermäßigen Einfluss erhalten hatte, bestand jedoch zumindest was die Prinzipien anging, weitgehende Einigkeit über den ersten, den institutionellen Teil, des Vertrags.

Der Vertrag von Lissabon, der hauptsächlich Dank des Verhandlungserfolgs von Angela Merkel und Jean Claude Juncker (Sarkozy spielte auch eine Rolle, die vor allem in Frankreich aber meines Erachtens überbewertet wird) zustande kam, enthält im Kern alle Bestimmungen aus dem institutionellen Teil des Verfassungsvertrags. Somit ist er eine gute Nachricht für die Handlungsfähigkeit der EU. Die wichtigsten Punkte sind:

- Die deutliche Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen und die Schaffung der so genannten doppelten Mehrheit: Ein Beschluss benötigt die Zustimmung der Regierungen von 55% der Staaten, die 65% der Bevölkerung repräsentieren müssen. Das ist einfach und transparent.

- Die Stärkung des Europäischen Parlaments, das mehr Mitbestimmungsrechte erhält und unter anderem beim Haushalt gleichberechtigt gegenüber dem Europäischen Rat sein wird.

- Es gibt nicht mehr ein Kommissionsmitglied pro Land, was eine künstliche Aufplusterung der Europäischen Kommission zur Folge hatte, sondern nur noch 18 Kommissare. Damit wird die Kommission effizienter und die einzelnen Mitglieder sind weniger Interessenvertreter ihres Staates sondern.

- Die Schaffung eines Präsidenten des Europäischen Rats, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird (leider nicht direkt, sondern vom Europäischen Rat, also den Staats- und Regierungschefs) und damit zum klaren Gesicht der EU nach innen und außen wird und für Kontinuität sorgt.

- Ein Hoher Vertreter der Europäischen Union (eigentlich ein Außenminister, der diesen Titel nur aus Rücksicht vor Gegnern einer zu staatsähnlichen EU nicht trägt) vereint die Ämter der Außenkommissars und des Außenbeauftragten der EU auf sich und sorgt für eine einzige Telefonnummer der EU im Bereich der Außenbeziehungen.

All diese Elemente waren auch im Verfassungsvertrag vorgesehen. Was ist also anders? Schlussendlich wurde hauptsächlich den Bedenken Polens und Großbritanniens Rechung getragen. Das betrifft drei Elemente:

1. Die neuen Entscheidungsregeln treten erst 2014 bzw. 2017 statt wir ursprünglich gedacht schon 2009 in Kraft. So behält Polen länger seinen größeren Einfluss bzw. diese betreffen allgemein nicht mehr die Entscheider von heute.

2. Die Europäische Grundrechtecharta ist nicht Teil des Vertrags. Zudem kann ein Land beschließen, dass sie dort keine Geltung hat, so wie dies Großbritannien, das damit aufgrund seiner Verfassungstradition ein Problem hat, tun wird.

3. Alle Elemente, die auf eine Staatlichkeit der EU hindeuten, treten nicht im Vertrag auf. Das betrifft die Fahne, die Hymne, der Name Verfassung, der Titel des Außenministers, usw. Das ist zwar Schade, die Symbole bleiben aber alle de facto bestehen.

Fazit: Die Zugeständnisse, die gemacht wurden, sind zu verkraften, da die Kernintention, nämlich die Beendigung der Lähmung der Union durch eine Reform der Abstimmungsmodalitäten und der Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen erreicht wurde. Allerdings hätte man auch gleich die Verfassung annehmen können, da eigentlich zum Großteil jetzt das gleiche Beschlossen wurde. Diesmal gibt es aber keine Volksabstimmungen.

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