Als politisch und kulturell interessierter Angehöriger von zwei Nationen bin ich stets bestrebt, sowohl in Deutschland und Frankreich zu verfolgen, was in diesen Bereichen in beiden Ländern auf der Tagesordnung steht. Gerade in Frankreich konzentriere ich mich aus Zeitmangel eher auf den politischen Bereich. Allerdings gibt es auch hin und wieder Ereignisse und Themen, um die man nicht herumkommt.
So sorgte im Jahr 2006 ein Roman, der jetzt auch in Deutschland erschien und aufgrund seiner Thematik sicherlich auch hier für Debatten sorgen wird in Frankreich für reichlich Beachtung. Les Bienveillantes (der deutsche Titel ist Die Wohlgesinnten) von Jonathan Littell sahnte damals den wichtigsten französischen Buchpreis, den Goncourt, und den Prix de l’Académie Française ab. Zudem war er schon vorher ein großer Beststeller. Angeregt durch die Diskussion und sehr interessiert von der Thematik des Romans, habe ich mir das Werk schon vor einigen Monaten zu Gemüte geführt.
Bemerkenswert ist schon der Hintergrund des Autors: Herr Littell schreibt zwar französisch, ist aber Amerikaner (inzwischen hat er die französische Staatsbürgerschaft) und stammt aus eine jüdischen Familie aus Litauen. Die Herkunft des Autors ist durchaus wichtig, denn wäre er nicht Jude, hätte er sich wohl nicht auf diese Weise an das Thema des Romans heranwagen können. Les Bienveillantes ist die in der ersten Person verfasste Biographie des fiktiven SS-Offiziers Max Aue, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich untergetaucht ist und dort unter falscher Identität eine bürgerliche Existenz geführt hat. Aue hat alle großen Grausamkeiten des Ostfeldzugs mitgemacht, Pogrome in der Ukraine und dem Kaukasus, Stalingrad, Auschwitz, sowie den Rückzug der Wehrmacht und die finale Niederlage in Berlin. Er selbst berichtet von seiner Rolle ohne Reue, erkennt Grausamkeiten an, aber berechtigt diese als notwendig für den Glanz des Deutschen Reiches. Man erfährt, wie ihm der Krieg und seine Begleiterscheinung ins Mark gehen und sieht ihn auch als einen Menschen mit großen psychischen Problemen, insbesondere in sexueller Hinsicht.
Klingt ziemlich heftig, ist es auch. Das Buch ist nichts für zart Besaitete und eignet sich nicht zur Bettlektüre zwischendurch. Dennoch ist es sehr empfehlenswert. Besonders für historisch interessierte ist es eine sehr gute Möglichkeit, sich den Geschehnissen in all ihrer Grausamkeit, von ihrer akribischen administrativen Planung, ihrer „Perfektionierung“ bis zu ihrer praktischen Durchführung (samt „Pannen“) zu nähern. Denn Littell schafft das Kunststück, einerseits fast sachbuchartige Doku-Fiktion zu schreiben (der Protagonist begegnet zahlreichen führenden Nazis, die Ereignisse werden historisch korrekt dargestellt) und andererseits den Leser komplett zu packen. Man ist hin- und hergerissen zwischen Ekel und Abneigung vor dem Protagonisten einerseits und Sympathie oder Mitleid andererseits. Oder wie es Spiegel Online sehr treffend zusammenfasst: „Die schier endlos wirkende Lektüre zieht in einen Bann, sie verstört, lässt weinen, wüten und manchmal sogar hilflos lachen.“ Da es anscheinend exzellent ins Deutsche übersetzt und lektoriert wurde, kann ich also jedem nur nahe legen, sich Die Wohlgesinnten anzutun. Allerdings nicht zur Entspannung...