Man stelle sich vor, Paris sei im 18. Jahrhundert, also zu seiner glanzvollen Zeit, von den Briten erobert und zerstört worden. Frankreich wäre zerfallen, Paris in der Bedeutungslosigkeit versunken und schließlich aufgegeben worden. Danach wäre es Jahrhunderte lang als verlassene Trümmerstadt vor sich hin verfallen.
So ähnlich erging es der Stadt Vijayanagar. Sie war die Hauptstadt des gleichnamigen Reichs, das sich zu seiner Glanzzeit im 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts über ganz Südindien erstreckte. Die Stadt war, glaubt man Zeitzeugenberichten, eine der schönsten und modernsten Städte der Welt und mit einer halben Million Einwohner für damalige Zeiten eine riesige Metropole. Es gab ein ausgebautes Straßennetz und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem mit Aquädukten. 1565 jedoch wurde Vijayanagar von einer Allianz von Sultanaten aus dem Deccan komplett zerstört, das Riesenreich zerfiel und die Stadt wurde aufgegeben. Heute ist sie besser bekannt als Hampi und man kann hier die Überreste dieser glanzvollen Metrolpole erkunden.
Zwei volle Tage lang bin ich damit beschäftigt, zu Fuß und mit dem Fahrrad die Ruinen des Weltkulturerbes Hampis zu erkunden. Diese sind in eine sehr schöne Landschaft eingebettet, felsig und dennoch relativ grün. Beschränkt man sich nicht auf die Hauptattraktionen (Vittala Tempel, königliches Viertel, Zenana), so kann man hier einsame Stunden verbringen, allein in den Ruinen mit Eidechsen, Vögeln und Affen. Um diese Jahreszeit sind relativ wenige Touristen hier, dafür ist es gerade in der Mittagszeit sehr heiß. Man braucht einen ausreichenden Wasservorrat und schwitzt in kurzer Zeit das T-Shirt durch. Es wäre mühselig, alles aufzuzählen, was ich hier gesehen habe, die Fotos veranschaulichen das ohnehin.
Hampi ist übrigens unerwartet ländlich, man kommt hier für touristische Verhältnisse sehr nah an das Leben der Landbewohner in der Provinz Karnatakas. Sogar in Hampi Bazaar selbst lebt die lokale Bevölkerung außerhalb des Guesthouse-Viertels in ärmlichen Verhältnissen. Hier wurde der alte Bazaar um den Viruprashka Tempel wiederbelebt, die Bevölkerung hat sich in den Ruinen des Bazaars kleine Häuschen eingerichtet und lebt hier auf engen Raum mit ihren Nutztieren (Schafe, Ziegen und Hühner). Wenn man auf der anderen Seite des Tungabhadra Flusses Anegondi erkundet durchquert man zudem deutlich abgelegenere Dörfer, deren Bewohner von der Landwirtschaft leben und die vom Tourismus kaum zu profitieren scheinen. Morgens kann man an den Ghats (das sind die Stufen, die zum Fluss führen) beobachten, wie die lokale Bevölkerung, aber auch indischen Budget-Touristen, ihr morgendliches Bad im Fluss nehmen, sich die Zähne putzen oder auch Wäsche waschen, das alles in einer sehr fröhlichen Stimmung.
Hampi Bazaar ist übrigens auch ein sehr heiliger Ort, in der Gegend sollen sich einige Ereignisse des Ramayana abgespielt haben. Das heißt, dass hier sowohl der Verzehr von Fleisch als auch von Alkohol verboten ist. Zudem erlebt man jeden Abend kleine Prozessionen, die aus unterschiedlichen Anlässen begleitet von Musik durch den Ort führen. Da ich eine Unterkunft in einem kleinen Guesthouse mitten im Ort habe und ich von meiner Zimmertür aus einen guten Blick auch das Straßenleben in einer engen Seitenstraße habe, erlebe ich die besondere Stimmung im Ort aus nächster Nähe. Ich habe mich hier sehr wohl gefühlt.
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