In Ujjain hätte ich nicht unbedingt eine Etappe eingelegt, doch da ich keine Lust auf eine erneute endlose Busfahrt hatte und die Stadt auf meiner Route lag, beschloss ich, dort eineinhalb Tage zu verbringen. Ujjain ist eine der sieben heiligen Städte Indiens, sie ist zudem einer der vier Orte, wo alle 12 Jahre eine Kumbh Mela stattfindet. Hier befindet sich weiterhin einer der 12 heiligen Jyoti Lingas Indiens, also solche Shiva Lingams (phallische Shiva-Ikonen, eigentlich soll das eine Lichtsäule darstellen), die ihr Shakti (Schöpfungsenergie) von Natur aus in sich haben und nicht erst durch priesterliche Rituale gewinnen. Zudem liegt Ujjain genau auf dem nördlichen Wendekreis und ist das indische Greenwich, sodass hier der Nullmeridian der indischen Geographie verläuft.
Trotz seiner langen und bewegten Geschichte ist Ujjain nicht sehr hübsch anzuschauen, es gibt zwar unzählige Tempel, doch diese sind architektonisch nicht interessant. Da Ujjain immer mal wieder in die Hände muslimischer Eroberer fiel, wurden seine Tempel mehrfach zerstört, die heutigen Versionen stammen meist aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Man kann hier eher die Stimmung einer heiligen Pilgerstadt einfangen. Dies geht am besten an den Ghats, also den Stufen hinab zum Fluss, wo die Gläubigen sich im Shipra Fluss von ihren Sünden reinwaschen. Ich verbringe am Ram Ghat einige Zeit bei Einbruch der Dunkelheit und am frühen morgen, beobachte de Geschehnisse und Rituale und versuche, die Stimmung einzufangen. Die Gesänge, das Getrommel, die kleinen Feuer, die badenden Menschen, das ist schon was besonderes.Erstaunlicherweise hat das ganze eine beruhigende Wirkung.
Ich wage zudem einen Besuch im Mahakaleshwar Tempel, wo der Schrein mit dem Jyoti Linga liegt. Das ist ein Erlebnis für sich. Der Tempel ist so angelegt, dass hier riesige Massen an Gläubigen durchgeschleust werden können. Es gibt einen Warteschlangenbereich wie bei Großattraktionen von Vergnügungsparks. Heute ist relativ wenig los, trotzdem stehe ich eine Weile in der Schlange, die auch durch die Katakomben des Tempels führt. Hier herrscht bereits eine aufgekratzte Stimmung, die Pilger haben alle ihre Gaben für den Gott dabei (hauptsächlich Blumen, Kokosnüsse, Milch), es wird gesungen und geplaudert. Ich errege natürlich Aufmerksamkeit und werde in Unterhaltungen einbezogen. Auf dem Weg kommt man immer wieder an anderen Schreinen vorbei, wo man schon Gaben loswerden kann. Schließlich komme ich ins von Bramahnen bewachte Heiligtum: hier herrscht eine Riesenhektik, da jeder seine Opfergaben loswerden will, alles drängt sich um das Linga. Das ist schon ein Erlebnis. Allerdings denke ich, dass es an manchen katholischen Pilgerstädten ähnlich zugehen muss.
Eine weitere Erfahrung, die ich wohl nicht so bald vergessen werde, mache ich bei der Weiterfahrt aus Ujjain nach Baroda, meine nächste Etappe. Die einzige gute Möglichkeit, die Strecke zu überwinden, ist der Zug. Leider sind die reservierbaren Plätze alle ausgebucht, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als eine Fahrkarte für die Second Class zu kaufen, wo man nicht reservieren kann. Indische Züge haben eine Vielzahl von Klassen, die Standardklasse ist die Sleeper Class, die in etwa unserer zweiten Klasse entspricht, nachts werden die Abteile in Liegewagen umfunktioniert. Von der Second Class gibt es immer nur wenige Wagen pro Zug, die Tickets hierfür sind zwar sensationell günstig (ich zahle umgerechnet € 1,50 für eine über 300 Kilometer Zugreise), dafür ist sie meist komplett überfüllt.
Als der Zug im Bahnhof von Ujjain einfährt, ist der 2nd Class Wagen bereits so voll, dass eigentlich (zumindest aus naiver europäischer Sicht) keiner mehr hineinpasst. Ich quetsche mich zusammen mit vielen anderen zusteigenden Passagieren dennoch hinein, mit meinem großen Rucksack auf dem Rücken ist das schon eine Herausforderung für sich. Mit Hilfe der um mich herum stehenden Leute entledige ich mich dann meines Rucksacks, der über die Köpfe hinweg in eine der Toiletten befördert wird, die als Stau- und zusätzlicher Stehraum für die Reisenden umfunktioniert wurde. Es ist ein Türkenklo, die Toilette ist durch eine Platte abgedeckt, es ist also sauber und frei von unangenehmen Gerüchen. Die sechseinhalb Stunden Fahrt verbringe ich zunächst stehend vor der Toilette, dann auf meinem Rucksack sitzend drin. Den Raum teile ich natürlich mit ein paar anderen Menschen.
Es entsteht auf der Fahrt ein, wie ich finde, recht einmaliges Gemeinschaftsgefühl. Ziemlich schnell fangen die Leute an, sich zu unterhalten. An den Bahnöfen wechselt man sich ab, um an den Wasserstellen seinen Wasservorrat aufzufüllen oder was zu Essen zu holen (Halte sind immer recht lang). Die Toilette wird zudem immer mal wieder als heimlicher Raucherraum genutzt. Ich finde es sehr schade, kein Hindi zu können, sodass ich mich nicht mit meinen Mitpassagieren unterhalten kann. Diese können allesamt kein Englisch, sagen aber immer wieder mit vielsagendem Blick „Indian Railways“ zu mir, wenn mal wieder viel gedrängelt wird. Ich bin froh, als der Zug gegen Mitternacht in Baroda ankommt. Auch wenn ich sie nicht unbedingt wiederholen möchte, war dies eine unvergessliche Erfahrung, die man wohl nur in Indien machen kann.
Hier ein paar wenige Fotos von Ram Ghat.
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