Ich habe das Gefühl, langsam Gefahr zu laufen, etwas unglaubwürdig zu klingen, da ich ständig so begeisterte Berichte schreibe. Doch in Kerala überbieten sich die Orte, die ich besuche, einfach gegenseitig. Zu recht sind die Bewohner Keralas (was übrigens auf Malayalam „Land der Kokosnüsse“ heißt) sehr stolz auf die Schönheit ihres Bundesstaats.
Ich habe die relative frische und Abgeschiedenheit Munnars und der Berge wieder verlassen und bin an die Küste zurückgekehrt, um Kochi einen Besuch abzustatten. Der Ort ist wohl eher unter seinem englischen Namen Cochin bekannt, unter Kochi, dem indischen Namen, fasst man das Komplette Ballungszentrum, mit 1,6 Millionen die größte Stadt Keralas. Die Stadt ist auf mehrere Inseln und Halbinseln um eine Bucht verteilt, sie ist einer der bedeutendsten Häfen Indiens. Als touristischer Besucher steuert man geradewegs das historische Fort Cochin an, das an der Spitze einer dem Festland vorgelagerten Halbinsel liegt und noch sehr sichtbar das koloniale Erbe trägt. Da es nicht im Zentrum der Stadt liegt, ist die Altstadt für indische Verhältnisse hervorragend erhalten und es ist, gerade jetzt in der Nebensaison, hier angenehm ruhig. Die enorme Anzahl an Hotels, Pensionen, Restaurants und Rickshawfahrern lässt jedoch erahnen, was hier in der Hochsaison los sein muss.
Jetzt aber bekommt man recht günstig eine gute Unterkunft (Ich komme in einem Homestay im chrsitlichen Viertel Fort Nagar unter und werde Zeuge einer vorösterlichen Prozession mit 14 Stationen in der Nachbarchaft) . Zudem wetteifern die Rickshawfahrern um die Gunst der wenigen Touristen. Wenn man sich bereit erklärt, eines oder mehrere der „Emporium“ genannten Souvenirläden zu besuchen (die gibt es in jeder touristischen indischen Stadt, es gibt immer Kunsthandwerk, Textilien und Teppiche), dann bekommt man sehr günstig eine Stadtrundfahrt, denn wie üblich erhalten die Rickshawfahrer von jedem Laden eine Kommission, wenn sie Touristen anschleppen. Hier in Fort Cochin funktioniert das ganze anhand von Bonussystemen, mein Fahrer hat sich Dank mir eine neue Uniform erarbeitet und hat sein Sprit für den Tag bezahlt bekommen. Es war übrigens eine sehr gute Entscheidung, einen Fahrer zu nehmen, denn dieser hat sich als sehr guter Führer erwiesen und mir einige Dinge gezeigt, die mir der Lonely Planet vorenthalten hätte. So sah ich neben der Synagoge (sehr schön, mit chinesischen Porzellankacheln, einem Goldenen Tabernakel und Glasleuchtern aus Belgien) und dem von den Niederländern für den Raja gebauten Palast unter anderem auch Gewürz- und Ayurvedische Kontore, den Jain-Tempel und die Wäscherei. Hier wurde übrigens zwei Tage später auch meine Wäsche gewaschen und gebügelt, selbst die Boxershorts. Was für eine Verschwendung, die Wäsche anschließend in den Rucksack zu stopfen.
Am nächsten Tag nehme ich die Fähre hinüber auf das Festland, in das moderne Stadtzentrum Ernakulam. Dieses bildet einen geschäftigen Kontrast zum ruhigen Fort Cochin. Die Uferpromenade und die luxuriösen Wohnhochhäuser mit Blick auf das Wasser erinnern an eine westliche Großstadt, doch dahinter herrscht das übliche wilde treiben der indischen Einkaufsstraßen. Abends besuche ich eine
Kathakali Vorstellung, das ist traditionelles keralesisches Theater. Das Kathakali wurde ursprünglich bei Tempelfesten aufgeführt, zum Thema hat es immer, wie könnte es anders sein, Geschichten aus dem indischen Nationalepos Mahabharata. Die Besonderheit ist zum einen, dass die Darsteller sehr aufwändig geschminkt sind, zum anderen, dass das ganze pantomimisch aufgeführt wird und sehr stark von der beeindruckenden Mimik der Darsteller lebt. Kathakali hat sogar eine eigenen Zeichensprache. Ursprünglich gingen die Darbietungen 6-9 Stunden, heute gibt es jedoch auch verkürzte Vorstellungen für Touristen. Bei dieser Darbietung des Kerala Kathakali Centers gab es zudem eine Einführung ins Thema, was für Novizen ganz hilfreich war. Sehr empfehlenswert.
Zum Abschluss meines Aufenthalts in Kochi gönnte ich mir einen Entspannungstag am nahe gelegenen Cherai Beach. Der Strand ist nichts besonderes, erfüllt jedoch seinen Zweck. Zwar hat das Wasser teilweise fast Badewannentemperatur, doch angenehm ist das Bad im Ozean dennoch. Von Vypeen Island, direkt gegenüber von Fort Cochin genieße ich noch ein letztes Mal den Blick auf die berühmten chinesischen Fischernetze, die einen Großteil des Charmes von Fort Cochin ausmachen. Auch tümmeln sich hier in guter Sichtweite die Delfine. Hier lässt es sich wirklich gut aushalten, daher gibt es auch viele
Fotos.
Übrigens stehen in Kerala, wie in 4 anderen indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien Wahlen an. Hier geht es darum, ob die Left Democratic Front (LDF, unter Führung der Communist Party of India (Marxist), CPI (M)) an der Regierung bleibt oder von der Oppositionsallianz UDF (United Democratic Front unter Führung der Kongresspartei) abgelöst wird. Kerala ist stolz darauf, dass hier 1957 die erste demokratisch gewählte kommunistische Regierung der Welt zustande kam. Seither wechseln sich die Kommunisten und die Kongresspartei mit ihren jeweiligen Verbündeten an der Macht ab. Die Hindunationalisten von der BJP spielen in Kerala keine Rolle. Hauptthemen im Wahlkampf sind die steigenden Preise für Benzin und Nahrungsmittel sowie, wie derzeit in ganz Indien, die Korruption, da in den letzten Monaten einige Korruptionsskandale in der Bundesregierung aufgedeckt wurden. Der Wahlkampf ist sehr spannend zu verfolgen, da jetzt in der heißen Phase überall auf Plätzen und am Straßenrand kleine Kundgebungen stattfinden. Sehr beliebt sind auch mit Lautsprechern ausgestattete Wahlkampfmobile, die wahlweise mit nicht endenen monologen oder sehr lauter Musik die Straßen beschallen. Umfragen gibt es keine und so ist im Vorhinein komplett unbekannt, wer die Nase vorn haben wird.