Sonntag, 8. November 2009

Mal wieder ein wenig politische Klugscheißerei

Die Bundestagswahl ist nun 6 Wochen her. Inzwischen kennt man den Koalitionsvertrag und die Regierungsmannschaft. Auch die Opposition hat sich aufgestellt, in wenigen Tagen wird die neue SPD-Troika auch offiziell bestimmt sein. Es ist also mehr als Zeit für mich, auch meinen eigenen unqualifizierten Senf zur neuen Lage zu geben.

Programmatisch hat die neue Regierung nicht überrascht: weitere schleichende Übertragung der Finanzierung des Sozialstaats von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern, Ziel der Steuersenkung, unbeschränkte Laufzeiten für Atomkraftwerke. Letzteres wird vermutlich sehr schnell geschehen, da dies eine der wenigen Maßnahmen ist, die relativ unkompliziert umgesetzt werden kann. Beim Rest wird wohl abgewartet werden müssen, was durchgesetzt werden kann, insbesondere bezüglich einer möglichen Steuerreform. Die ersten Zwischentöne aus den Ländern zeigen schon, dass es trotz Bundesratsmehrheit schwierig wird. Sollte es im Mai keine Schwarz-Gelbe Mehrheit in NRW mehr geben, wird es noch komplizierter. Deshalb wird sich die Regierung bis dahin sicherlich auch mit unpopulären Maßnahmen zurückhalten.

In der Regierungsmannschaft gab es zwar ein paar Überraschungen bezüglich der Postenvergabe im Einzelnen, doch insgesamt sieht man nur vertraute Gesichter. Schlussendlich wurde das komplette Spitzenpersonal der drei Regierungsparteien mit Ministerien versorgt. Eine positive Überraschung war für mich die Besetzung des Finanzministeriums mit Wolfgang Schäuble. Zum einen ist er damit als Law-and-Order-Mann im Innenministerium aus dem Weg geräumt, zum anderen ist Schäuble meiner Meinung nach als Finanzminister ein Glücksgriff. Ich hatte von Anfang an geglaubt, dass die Union dieses gerade in Zeiten finanzieller Engpässe wichtigste Ministerium der Bundesregierung nicht wieder aus der Hand geben würde. Deshalb hätte mich, wie viel spekuliert wurde, die Ernennung eines FDP-Finanzministers Solms auch sehr überrascht. Mit Wolfgang Schäuble übernimmt jedoch ein Mann das Ministerium, der sich am Ende seiner politischen Karriere befindet, der keinem etwas schuldig ist und der ein ziemlicher Sturkopf ist. Deshalb wird er sich auch (hoffentlich) nicht leichtfertig auf eine Steuerreform einlassen, die nicht solide gegenfinanziert ist. Auch wenn dies bedeuten könnte, den Liberalen in seiner Partei und beim Koalitionspartner zu verärgern.

Bei der SPD war ich nach dem Schock des miserablen Wahlergebnisses zunächst sehr unglücklich mit der schnellen Festlegung auf Sigmar Gabriel als neuen Parteivorsitzenden. Ich hätte zwar auch keine Alternative vorschlagen können (Nahles für die nicht-Linken nicht akzeptabel, Wowereit wollte nicht, und das war’s dann schon mit möglichen Kandidaten). Doch ist Sigmar Gabriel wirklich der richtige, um die notwendige programmatische Erneuerung der Partei voranzutreiben und dabei gleichzeitig die Parteiflügel untereinander zu befrieden?

Inzwischen finde ich, dass der designierte Parteivorsitzende einen ganz guten Start hingelegt hat. Seine Zuhörtour durch die SPD-Bezirke ist noch im Gange, doch es scheint, als meine er es Ernst mit der Befriedung der Partei und einer ernsthaften Ursachenforschung für den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie. Die schwersten Aufgaben, nämlich anstehende programmatische Debatten, kommen noch. Sigmar Gabriel ist bisher nicht als der große Ideologe aufgefallen. Muss er auch nicht unbedingt sein, doch um den Niedergang zu stoppen muss die SPD über ihr Programm nachdenken, denn viele wissen nicht mehr, wofür die SPD steht.

Meiner Meinung nach geht es jetzt um folgendes:

  • Innere Befriedung der Partei: Solange die Parteiflügel übereinander herfallen können keine nüchternen Programmdebatten geführt werden.
  • Klare Positionierung bezüglich einiger Kernfragen: Wie mit der Linkspartei umgehen? Welche Konsequenzen sind aus der Krise des Kapitalismus zu ziehen? Was bedeutet Sozialdemokratie im Jahr 2009?
  • Rückgewinnung der Stammwähler, ggf. durch eine etwas linkere Positionierung. DSolange man nur auf die Mitte schielt wählen Linke für die Linkspartei oder bleiben zu Hause. Wenn man sich wieder als Sammelbewegung für die deutsche Linke etabliert hat, kann man sich möglicherweise wieder zur Mitte öffnen, um Mehrheiten zu gewinnen. Dafür können aber auch Koalitionspartner sorgen.
  • Ein neues Programm: Die SPD hat ein Selbstverständnis als Programmpartei. Sie hat sich war nach langjähriger Debatte erst 2007 ein neues Parteiprogramm gegeben (das „Hamburger Programm“), doch dies müsste weiterentwickelt werden.
Leider lässt das politische System Deutschlands den Parteien keine Zeit, sich einmal längere Zeit mit sich selbst zu beschäftigen. Aufgrund von unterschiedlichen Wahlzyklen in den Bundesländern wird immer irgendwo gewählt und keine Partei kann sich erlauben, solche Wahlen zu ignorieren, da die Länder über den Bundesrat an der Bundesgesetzgebung mitwirken. Diese andauernde „Zustand fieberhafter Erregung“ (ein Lieblingsausdruck von Prof. Manfred G. Schmidt von der Uni Heidelberg) führt zum Dauerwahlkampf in Deutschland. Ja, die nächste Wahl ist bereits in einem halben Jahr und es ist keine geringe: Am Ausgang der Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen im Mai, einst die sozialdemokratische Hochburg schlechthin, wird Sigmar Gabriel erstmals gemessen werden.

2 Kommentare:

Danièle+Roland hat gesagt…

schleichende Übertragung der Finanzierung des Sozialstaats von den Arbeitnehmern zu den Arbeitgebern,????? Ist das nicht umgekehrt?

Und dann The French Germa ein Fan von Schäuble!!!!!! Glücksgriff als Finanzminister!

The French German hat gesagt…

Danke für den Hinweis - ist korrigiert!